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26.06.2020
Wattwurm zum Welterbe-Tag
Wattwurm – ein typischer Bewohner des heute jubilierenden Weltnaturerbes
Heute feiern wir das elfjährige Jubiläum der Ernennung des Wattenmeeres zum Weltnaturerbe. Ein bekannter Bewohner des Weltnaturerbes ist der Wattwurm, dessen charakteristische Spaghetti auf jeder Wattwanderung zu sehen sind. In Anlehnung an die Big Five in Afrika, die man gesehen haben muss, gibt es im Wattenmeer die Small Five – zu denen gehört der Wattwurm, unser heutiger VIP.
Der Wattwurm, freundlicherweise auch Köderwurm (für's Angeln gedacht) oder Pierwurm genannt, wird durchschnittlich 20 Zentimeter lang und etwa fingerdick. Sein Körper ist dreiteilig: Der Kopf ohne Anhänge, in der Mitte 13 Kiemenpaare und 19 Borstenfußpaare, das Hinterteil aus anfänglich 100 Segmenten.
Der Wattwurm wohnt ca. 25 Zentimeter tief und hat eine L- bis U-förmige Röhre, die schleimverkittet ist und monatelang benutzt wird. Diese Röhre mündet beiderseits an die Oberfläche: Auf der einen Seite in den Fraß-Trichter („Speisekammer“) und auf der anderen Seite in den Kotsandhaufen („Toilette“).
Der Wattwurm lebt wie im Schlaraffenland – bei jeder Flut wird der Tisch neu gedeckt. Sie fressen „Sand“ – Wattwürmer sind auf das scharf, was sich zwischen den Sandkörnern versteckt: Kleine Algen, Mikroorgansimen und organisches Material. Dazu stülpt der Wattwurm seinen Schlund aus, der außen mit feinen Dornen bewehrt ist, an denen die Nahrungspartikel haften bleiben. Der Schlund wird eingezogen, die Nahrung geschluckt.
Durchschnittlich alle 40 Minuten wird der reine Sand, alles andere hat der Wattwurm ja schon verdaut, als Teil-Spaghetti nach oben abgegeben. Bis zu 50 Tiere kommen pro Quadratmeter vor. Jeder Wattwurm frisst rund 25 Kilogramm Sand im Jahr, d.h. insgesamt rund 400 Kilogramm Sand werden pro Quadratmeter und Jahr bewegt (die obersten 25 Zentimeter pro Jahr „gesäubert“). Durch das Umwälzen wird der Wattboden außerdem mit Sauerstoff angereichert - in der näheren Umgebung ist eine deutlich dichtere Besiedlung mit Mikrofauna.
Das Hinterteil besteht bei den Männchen etwa zur Hälfte des Körpers, bei den Weibchen ist es kürzer. Es besteht aus vielen kurzen Segmenten, einige wenige am Ende sind lang gestreckt. Das wird bei der Kotabgabe wichtig, wo jedes Mal das Hinterteil bedroht ist. Als Schutz gegen das Gefressen-Werden durch Vögel oder Fische kann ein Teil des Schwanzendes an einer Sollbruchstelle abgetrennt werden. Die kürzeren dahinter sind „Reserve“, wieder werden einige langgestreckt und ersetzen das fehlende Teil. So kann sich der Wattwurm damit ca. 30 mal das Leben retten. Er kann etwa fünf Jahre alt werden.
Eingegraben im Boden ist er in relativer Sicherheit. Zum Eingraben wird der muskulöse Kopf mit peristaltischen Bewegungen, d.h. abwechselnden Streck- und Kontraktionsbewegungen der Längs- und Ringmuskeln, in den Sand hinein gedrückt und der Rüssel ausgestülpt (Blut strömt hinein wie bei einem hydraulischen System). Durch das Ausstülpen wird der Rüssel zu einem dicken Wulst, der wie ein Anker in den Boden geschoben wird. Der restliche Körper wird nachgezogen und er beginnt von vorne. So kann der Wattwurm sich fortschreitend tiefer in den Boden hinein einbohren, oft innerhalb weniger Minuten. In entsprechender Tiefe wird der Darm als Transportband für den Sand benutzt.
Das Atemwasser nimmt den umgekehrten Weg des Sandes und wird mit Hilfe von Körperbewegungen von hinten nach vorne gepumpt, d.h. es ist ständig „Durchzug“ in der Röhre. Der Wattwurm atmet mit Haut und Kiemen, kann aber bis zu einer Woche lang ohne Sauerstoff auskommen. Das weckte das Interesse eines französischen Forschers. Er entdeckte im Blut des Wattwurms ein 50 mal größeres Hämoglobin als der Menschen es hat, das entsprechend mehr Sauerstoff speichern kann. Während Hämoglobin bei uns in roten Blutkörperchen verpackt ist, damit es groß genug ist, um z.B. nicht die Nieren zu verstopfen, zirkuliert es beim Wattwurm frei im Blutsystem. Auf den roten Blutkörperchen des Menschen befinden sich außerdem unterschiedliche Merkmale (Blutgruppe, Rhesusfaktor) und die Möglichkeit der Übertragung von Krankheiten (HIV, Hepatitis, etc.) – dem gegenüber ist das unverpackte Wattwurm-Hämoglobin neutral. Der Forscher hatte die Idee, aus dem Wattwurm-Hämoglobin einen Blutersatzstoff zu gewinnen (40 bis 50 Wattwürmer ersetzen rund 200 Milliliter Konzentrat aus roten Blutkörperchen, die in einem halben Liter Vollblutspende stecken). Man kann mit dem Wattwurmblut Organe bei Organspenden deutlich länger mit Sauerstoff versorgen, auch kann der Patient das Krankenhaus früher wieder verlassen, weil das Spender-Organ fit bleibt. Wattwurmblut fördert außerdem Heilung chronischer Wunden (bei Diabetikern) und wird in der Neurologie bei Schlaganfällen/Verletzungen eingesetzt, um die Gehirndurchblutung zu verbessern [detaillierter Artikel siehe stern Nr. 41 vom 6.10.2016].
Im Zuge von Corona rückt der Wattwurm erneut in den Focus der Forschung – man hofft, den Covid-19 Patienten, die aufgrund der Lungenerkrankung unter schwerer Atemnot leiden, mit einer neuen Behandlung (dem Wattwurmblut!) helfen zu können [siehe Euronews vom 06.04.2020].
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern, dass sie sich bester Gesundheit erfreuen und auf Baltrum erholsame Spaziergänge durch die Natur unseres Weltnaturerbes Wattenmeer genießen (wer nicht vor Ort ist, macht dies einfach gedanklich). Schauen Sie auf Ihren Spaziergängen ruhig genau hin, um auch die kleinen, verborgenen Schätze am Wegesrand zu entdecken!
Karen Kammer
Autor: Sabine Hinrichs
Fotos: Karen Kammer
Quelle: Karen Kammer, Nationalpark-Haus Baltrum
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